Ich habe Ihre Botschaft „Still Not Dead Yet“ verstanden!

Nijmegen, Goffertpark. Ich bin so extrem zerrissen, wenn ich versuche von Phil Collins und dem diesjährigen Konzert am 20. Juni 2019 in Nijmegen zu erzählen. In solchen Momenten hasse ich geradezu meine intensive Sensibilität und mein fortgeschrittenes Alter. Als ob es bei mir anders wäre, als bei anderen… Doch ich fühle es wohl anders, als die Meisten – ganz persönlich und intensiv und sehr nah, als ob ich ein Teil vom Ganzen wäre. Deswegen lebe ich auch zurückgezogen, die Intensität der Menschen überfordert mich mit der Zeit – es ist für mich gefühlsmäßig kaum aushaltbar.

Ich freue mich riesig, denn wir stehen ganz vorne! Wir haben, eigentlich eher zufällig, Karten ganz nah an der Bühne erworben.

Wir drei, Arnt, ich und Maurice haben Spaß – Es ist so genial, vor der Bühne zu stehen.

Ich atme noch auf, als ich die Konzertbesucher sehe. Gottlob sind nicht nur alte Leute gekommen, man fühlt sich dann immer selbst so alt. Phil Collins kann auch noch nicht so alt sein!

Phil Collins erlebte ich vor zig Jahren… ich rechne mal… moment, es könnte eine zeitlang dauern…………………………………………………………………………………………….19… irgendwann in den 80ern… oh Gott, es war in den 70ern. Das ist das totale Ende. Scheiß Zeit, ey! Ich könnte stumm an die Wand kotzen. Kann nicht irgend Jemand mal diese kack Zeit anhalten? Bitte!

Es ist echt voll an diesem Tag – na gut, ein paar Ältere sind ja schon dabei…

Ok zurück zum eigentlichen Thema. Phil Collins habe ich, wie gesagt, vor Ewigkeiten als Genesis auf einem Konzert in der Dortmunder Westfalenhalle erlebt. Genesis war eine Band, die ich über alles liebte und immer noch liebe. Als Phil Collins seine Solo-Karriere anstrebt, zerbricht in mir etwas. Ich hätte ihn zum damaligen Zeitpunkt gerne dazu aufgefordert, Genenis nicht sterben zu lassen. Ich bin über seine Entscheidung entsetzt und echt sauer auf ihn. Seine Solo-Karriere ignorierte ich daher gewissenspflichtig. Aber irgendwann überzeugt er einfach – ich kann nicht weghören, seine Musik reißt mich mit und bald ist es usus, Phil Collins zu hören. Genesis war gestern, Phil ist heute oder Genesis lebt mit Phil Collins weiter. Er, beziehungsweise seine Musik begleiten mich nunmehr viele Jahrzehnte und in allen Lebenslagen. Er war und ist einfach nur grandios! Ein ganz Großer ist er – ein richtiger Weltstar!

Für mich ist Musik auch nicht irgendein Gedudel, außer ich höre Radio, dann ist es mir fast egal, was da gerade gespielt wird. Musik prägt einen großen Teil meines Lebens – ohne Musik könnte ich ich nicht leben. Am liebsten würde ich selbst auf der Bühne stehen, zumindest Musik machen wollen. Doch irgendwie sollte es nie so sein, ich beherrsche halt kein Instrument in Vollendung. Aber zurück zum Thema.

Live und auf einem Konzert erlebe ich Phil Collins in seiner Solo-Karriere, in den vielen Jahren, die hinter mir liegen, nie. Ich weiß, ich habe etwas fulminantes verpasst. Aber in diesem Jahr soll es ja anders werden. Endlich, der Zeitpunkt ist gekommen, Phil Collins live in den Niederlanden – ich freue mich auf „in the air tonight“, „this must be love“ und seinen vielen anderen Songs, vielleicht spielt er ja auch etwas aus der Zeit von Genesis.

Obwohl er mich so viele Jahre meines Lebens treu begleitet hat… ich war so untreu, ich habe es ihm nicht gleich getan. Das wird mir schmerzhaft bewusst, als er auf die Bühne kommt.

Ich bin jetzt nicht unbedingt der intime Verfolger. Ich höre und genieße, aber an seinem Leben nehme ich nicht teil. Daher entgeht mir ein sehr wichtiger Aspekt, der mich aber auf diesem Konzert so etwas von niederschmettert. Ich gerate arg ins Trudeln und muss mental einiges tun, um wieder Fassung zu gewinnen.

Mein Vater… meine Mutter… Peter… Jasmin, Inge… es sind so viele, die ich verloren habe. Und immer nur aus einem einzigen verdammten Grund – viel zu früh und immer weil sie schwer krank waren.

Und nun kommt Phil Collins gebrechlich auf die Bühne… ich denke noch, der macht ein Scherz… als er auf einem Stuhl platz nimmt. Ich schaue in sein Antlitz, ich stehe direkt vor ihm und die Wahrheit trifft mich wie ein Schlag. „Man scheiße, ey, was bist du alt geworden…“ Verdammt, wir sind doch noch gar nicht… scheiße! Mir, ausgerechnet mir, schießen die Tränen in die Augen. Ich könnte so bitterlich losheulen. Man, was ist denn passiert? Er kann seine Hände kaum noch bewegen, ein alter Mann sitzt vor mir und lächelt zufrieden. Mich reißt es komplett vom Stuhl, wenn ich denn auf einem sitzen würde. Ich bin entsetzt und ringe um Fassung. Ich habe mit allem gerechnet, aber DAMIT nun wirklich nicht! Ich versuche mir nichts anmerken zu lassen – lächle und tue so, als ob alles ganz normal sei.

Ich bekomme es irgendwie hin – nein Phil bekommt es hin. Er reißt mich mit, ich lausche seinen Klängen, seiner Stimme, seiner alt vertrauten Musik – es beruhigt, ich finde mein Gleichgewicht wieder.

In mir wächst der Grund dieses einzigartigen Abends – Phil schenkt mir etwas – eigentlich schenkt er UNS etwas! Er schenkt uns die Akzeptanz zum eigenen alt werden und er schenkt uns die Zuversicht, dass es immer weiter geht bis es irgendwann zu Ende ist!

Er ist in diesem Moment Stellvertreter für unser aller Vergänglichkeit.

Unser Leben ist und bleibt endlich! Er steht nur für UNS da auf der Bühne, für uns und unseren Gefühlen! Er schenkt uns seine Musik, mehr als denn je! Ich sehe, wieviel Kraft es ihm kostet, uns glücklich zu machen! Und ich spüre seine inbrünstige Leidenschaft! Es ist so ein großes Geschenk an uns, an sich wahrscheinlich ebenso. Mehr, als in all den Jahren davor, in seiner Agilität. Denn nun ringt er um jeden Ton, er singt konzentriert, damit seine Stimme gleichmäßig bleibt und nicht im entscheidenden Moment kippt. Und es kostet ihm richtig Kraft! Sein Chor im Hintergrund fängt seine kleinen Ungereimtheiten wunderbar auf. Fast klingt alles wie früher.

Er schenkt uns an diesem Abend wirklich ein grandioses Konzert. Sein Sohn, Nicholas Collins, ist ebenfalls dabei. Er ist erst 18 Jahr alt, aber er übernimmt das Schlagzeug und er ist fast genauso begnadet, wie sein Vater. Ich fühle dieses Band, diese Innigkeit. Ich fühle diese Liebe, es ist unbeschreiblich! Und ich verstehe den Grund, warum beide zusammen auf der Bühne stehen.

Da oben auf der Bühne steht die Antwort für den Sinn des eigenen Lebens.

Unser aller Leben ist ein Auftritt – irgendwann gehen wir von dieser Bühne und machen Platz für alle, die auf dieser Erde leben, lieben und lachen wollen.

Ich fühle meine eigene Sterblichkeit, ich fühle so sehr, dass auch mein Leben nicht unendlich sein wird – meine Lebensuhr schon längst dabei ist, abzulaufen. Ich werde nicht mit meinem Sohn auf der Bühne stehen und der Welt verkünden können, das ich weitermache, egal was kommt. Ich fühle die drohende Einsamkeit, das Abgeschnitten sein vom Leben… das sich wie ein unsichtbarer Mantel irgendwann über mich legen wird…

Es wird in solchen Momenten ebenso klar, dass das Leben im Hier und Jetzt so unendlich wichtig ist. So intensiv es geht, zu leben, als ob es der letzte Tag wäre. Dankbar für jeden Tag zu sein, in denen man genießen, leben, lachen und fühlen darf und noch dabei sein kann.

Dieser Abend, sein Geschenk – DANKESEHR, Herr Collins! Sie haben mir sehr viel mehr geschenkt, als Worte jemals ausdrücken könnten.

Als Gefühl bleibt die Gewissheit, dass vieles einfach echt unwichtig ist. Das es wesentlich wichtigere Dinge im Leben gibt. Solch eine Begebenheit reduziert auf das Wesentliche im Leben. Wahrscheinlich können nur die Wenigsten meinen Worten folgen, es kommt jedoch für jeden die Zeit, die verstehen lässt.

Als das Konzert zu Ende ist, fahre ich, in mich gekehrt, in mein Hotel zurück. Ich belasse es bei meinem Gefühl. Dem ist nichts mehr hinzuzufügen. Im Hotel angekommen, schütte ich Bier in mich hinein, bis ich betrunken bin. Um drei Uhr liege ich im Bett und schlafe tief und fest.

„Entschuldigen Sie, dass ich nicht Ihrem Leben gefolgt bin, sonst hätte ich gewusst, wie es um Sie steht“ – hätte es was geändert? Als Fan oder besser gesagt, dauerhafte Zuhörerin, sollte man eigentlich Interesse bekunden, oder nicht? Irgendwie ärgere ich mich über meine Oberflächlichkeit. Und gleichzeitig denke ich, es ist gut so, wie es ist.

Ich lese gerade sein Autobiographie „Da kommt noch was – Not Dead yet“ – es bringt mich ein Stück näher, um zu verstehen und zu begreifen. Und schließlich bin ich es ihm schuldig. Vielleicht auch mir, um meine eigene Identität zu verstehen…

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