Über Politik spricht man nicht, über Helmut Schmidt schon

Momentan aktueller als je zuvor: Afghanistan! Tja… Man könnte jetzt die Schulter zucken und sich einem anderen Thema zuwenden… und doch, die Gedanken kreisen um Föderalismus, Ethik, Frieden, Glaubensansichten und Lösungen.

Afghanistan ist nicht zu lösen

Helmut Schmidt hat es, meines Erachtens, nüchtern betrachtet und sein Resümee darüber gezogen. Und wie auch ich, beurteilt er die Afghanische Zukunft pessimistisch. Er geht sogar einen erheblichen Schritt weiter und bezeichnet das Afghanische Problem als unlösbar.

Denn hierbei handelt es sich nicht um ein Problem, sondern um eine Anzahl von komplexen Problemen. Afghanistan, Pakistan, Iran, Türkei, Westbank, Gaza, Jemen, Saudi Arabien – der Jihadismus (Jihad bedeutet auf Arabisch übrigens „Anstrengung“) ingesamt… ein unlösbares, komplexes Thema. Der Krieg in Afghanistan ist ein Teil davon.

Laut Schmidt hätte es noch nie einen afghanischen Staat gegeben, der länger als zwei Jahrzehnte funktioniert hat. Das Wort Afghanistan gibt es erst maximal seit 200 Jahren, es sei im 19. Jahrhundert von irgend Jemanden erfunden worden. Es bestehen mindestens 12 bis 18 verschiedene Völker, davon das größte Volk, ca. 40% besteht aus den Paschtunen, das aber geteilt ist – die Engländer haben es durch eine künstliche Grenze einst geteilt. Der größere Teil lebt heute auf Pakistanischem Boden, in sogenannten Stammesgebieten. Die Regierung in Islamabad hat in diesen Gebieten nichts zu sagen. Ab und zu würden ein paar Truppen in die Gebiete geschickt, die dann herumschießen, um sich dann wieder zurückzuziehen. Da leben Fünfzehn Millionen Paschtunen und auf Afghanischem Boden vielleicht Zehn Millionen, also ein geteiltes Volk, zusammengezählt ca. Fünfundzwanzig Millionen.

Die Taliban sind inzwischen junge Leute

Die Paschtunen sind im wesentlichen die Leute, die die Taliban stellen und hierbei handelt es sich inzwischen um jüngere Leute. Sie sprechen verschiedene Sprachen, die einen tendieren Richtung Pakistan, die anderen Richtung Iran oder Tadschikistan und Kirgistan, wiederum andere tendieren Richtung Türkei. Früher hieß das gesamte Gebiet Turkmenistan… außer Afghanistan als neue Erfindung.

So wie beispielsweise die Chinesische Provinz Xinjiang – die Urbevölkerung sind die Uiguren (alles Muslime), sie sprechen die gleiche Sprache, wie die türkischen Bauern in Anatolien in 1000 km Entfernung, um sich miteinander verständigen zu können.

Auch in Asien ist eine Völkerwanderung erfolgt, die wir aber nicht in unserem westlichen Geschichtsbewusstsein haben, wir kennen nur unsere eigene. Diese Völkerwanderung hat aber eben dazu geführt, dass sehr ähnliche Sprachen gesprochen werden und das die meisten davon Sunniten sind und keine Schiiten… während im Iran Schiiten die Vormachtstellung genießen. Und die bekämpfen sich dann noch gegenseitig. Helmut Schmidt bezeichnet das alles als unlösbaren Komplex und es bliebe auch eine schlimme Geschichte.

Helmut Schmidt 2013

Es gibt 200 Staaten auf dieser Welt, davon sind über 50 muslimisch geprägt

Afghanistan sei einer von den 50. Die Wut und der Zorn auf den Westen und die Amerikaner, den gibt es in mindestens der größeren Hälfte der muslimisch geprägten Staaten. Selbst wenn man in Afghanistan Erfolg gehabt hätte, der Hasse auf den Westen sei in allen übrigen Staaten weiter vorhanden. Mit militärischen Mitteln sei keine Lösung zu erzielen, es würde die Lage und Einstellung gegenüber den Westen und Amerika noch weiter verschärfen. Selbst wenn man mit militärischen Mitteln Pakistan abschotten würde, wo die eigentlichen Führer säßen, wo auch Al Qaida sitzt, dann hätte man nicht mit 150.000 Tausend Soldaten, sondern mit einer halben Million einziehen müssen.

Irgendwas befrieden zu wollen, sei Utopie

Seit 2000 Jahren würde das nicht gelingen. Die Besatzungsmächte und die Sowjets haben einst all die künstlichen Grenzen gezogen. Und man muss dabei beachten, dass auch in Indien 13-14 Prozent Muslime leben und Indien hätte eine Tausend Million (eine Milliarde) Einwohner. In Pakistan, mit 80% Muslime, leben Zweihundert Millionen Einwohner! Dieser erhebliche Prozentsatz Muslime könne man durchaus mit Hilfe von Internet und Fernsehen aufputschen .

Je mehr man daher militärisch eingreifen würde, desto größer würde der Hass und die Ablehnung werden. Es sei, bzw. ist ein unlösbarer Komplex, so Helmut Schmidt.

Dem ist nichts mehr hinzu zu fügen – Helmut Schmidt sollte Recht behalten. 2013 entstand dieses Interview mit DER Zeit und Helmut Schmidt. Ich habe nur einen Satz in die Verlaufsform Gegenwart (fett markiert) gesetzt, um dieses Interview so zu gestalten, als ob es heute geführt worden wäre.

Nachtrag: Gut, jetzt wäre die Quintessenz des Ganzen eigentlich nur eine… damit politisch umzugehen, ist für alle offensichtlich eine Herausforderung. Und wir als einzelne Person können durch dieses Interview mehr nachvollziehen, wie verworren und ausweglos die Situation in Afghanistan ist. Die Anschläge in Kabul, am gestrigen Tag, zeigen ziemlich deutlich, dass der Krieg schon untereinander mächtig brodelt – der IS bekämpft mit Selbstmordanschlägen die Taliban. Keine Ahnung, wo das alles hinführen soll, zumal nun die Lage durch die Opfer der US-Soldaten wieder verschärft wird, man spricht von Vergeltungsanschlägen…

Ganz ehrlich, uns ist oft gar nicht bewusst, wie privilegiert wir leben. Ich bin einfach nur dankbar dafür, nicht in Afghanistan oder anderen Brennpunkte leben zu müssen.

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