Update: Die Stimmen aus dem Jenseits

Es muss sein, das Update… nichts hat mich mehr hadern lassen, als diese Abhandlung. Es will einfach nicht passen. Jetzt wird’s passend gemacht. Inzwischen wohl ein Monolog, dessen Abrechnung mit sich selbst zu erwarten war.

Ein Tatsachenbericht von einer Frau, die nach vielen Jahren noch trauert:

Ich, mittlerweile 58 Jahre alt und kinderlos, bin nicht wirklich über den Tod hinweg gekommen… doch schon, manchmal verfalle ich aber zu intensiv in die Vergangenheit … noch nach 13 Jahren kann ich das für meinen verstorbenen Mann sagen. Und für meine Eltern, die vorher schon das zeitliche gesegnet haben, gilt die gleiche Aussage.

Alles, was danach erfolgt ist, ist nicht mehr das, was mich gänzlich glücklich gemacht hat. Nein, so kann ich das unmöglich stehen lassen. Was früher einmal war, war auch nicht immer von Glück geprägt. Und heute, nachdem meine Familie ausgelöscht ist, empfinde ich natürlich auch Glück, nur anders. Dieses heutige Glück ist authentischer und reiner nicht so emotional wie einst. Ich bin älter, die Ansprüche an mich selbst sind erwachsener und vernünftige geworden … Aber zurück zum Geschriebenen: Für mich ist mit dem Tod meiner Familie mein Leben zu einem großen Teil mit beerdigt worden. Seitdem lebe ich nur noch als Hülle von einem erfüllten Leben, dass keiner mehr danach nur ansatzweise ersetzen konnte. Jain…. ich lebe seitdem anders, das Leben ist immer noch erfüllt, aber nicht mehr so hysterisch erfüllt, wenn Sie verstehen, was ich damit meine. Früher musste immer alles toller, besser, weiter, emotionaler und … naja … heute lebe ich einfach bodenständiger und aufgeräumter. So schnell reißt mich nichts mehr aus dem Stuhl oder Bett oder was weiß ich woher und trotzdem … in meiner Welt ist es nicht traurig, nur manchmal. Und muss mir für heute noch jemand wirklich was von früher ersetzen? Wie komme ich da überhaupt drauf, ist das der Anspruch einer depressiven in die unfreiwilligen Menopause katapultierten Frau, oder reden wir einfach nicht mehr darüber?

Innerlich schüttle ich immer nur den Kopf, wenn Ehemann „second edition“ (wie abschätzend… und eigentlich ist es gar nicht so gemeint – fehlte mir nur eine treffende Begrifflichkeit dessen) meint, er müsse jetzt mal Stellungnahme beziehen, wenn ich von meinem verstorbenen Mann berichte. „Ja, der war da ja ohnehin schon von dir getrennt …“, so faselte er dann ständig. Das ist einfach nur peinlich. So ein gequirlter Bullshit! Will er damit Aufmerksamkeit oder Mitleid erregen oder seine Wertigkeit in den Vordergrund stellen, oder was soll das ganze Theater? Kann er das nicht einfach unreflektiert so stehen lassen? Ja, es ärgert mich wirklich – trotzdem ist es abschätzend, was ich da kundtue. Aber ich ergänze es einmal so: Lange musste mein zweiter Ehemann (besser so?) auf mich warten, lange habe ihn als zweite Wahl gesehen… und nicht geblickt, dass er das deutlich spürt und ich ihm damit echt Unrecht getan habe… ja auch sein mir entgegen gebrachtes Vertrauen verletzte. Mein aktueller Ehmann ist nicht nervender als ich selbst und es wäre einfach scheiße, ihm nicht seinen Stellenwert zugestehen zu wollen, denn er hält es schließlich mit mir als impulsive, mal misanthropisch, mal philanthropischen Persönlichkeit aus.

Und ohnehin, hat er überhaupt eine Ahnung, warum wir (mein erster Mann und ich) das so entschieden haben? Nein hat er tatsächlich nicht wirklich und ist auch in unserer heutigen Beziehung völlig unwichtig. Aber zur Vervollständigung trägt es wohl gerade bei, denn ich war es, die gegangen ist. Ich wollte meinen ersten Ehemann vor mir schützen, denn ich dachte, ich vernichte ihn, wenn ich bei ihm bleibe. Ich schützte mich auch selbst, denn intuitiv wusste ich, dass eine Drogenkarriere in einer Einbahnstraße enden würde. Ich hätte vielleicht bleiben sollen, aber dazu war ich nicht in der Lage, dazu fehlte mir die geistige und psychische Kraft. Ich war intellektuell zu unreif und von den Drogen zu wirsch im Kopf, um es wirklich zu blicken, was da falsch gelaufen ist. Es sind daher die Fehler, die mich traurig machen und nicht mein zweiter Ehemann.

Fakt ist, meine Familie ist komplett ausradiert und ich fühle mich seitdem sehr allein. Ja, es gab sicherlich eine Menge scheiß Momente, aber es waren trotzdem die Wurzeln meines Daseins. Daher muss ich mich nicht dafür schämen, sie zu vermissen, auch wenn man mir das so gerne einreden will. Wer will mir das einreden – wenn nicht ich selbst …? Auch hier bin ich mit mir nicht einverstanden.

Grabstein als Kreuz mit der Schrift: Ruhe sanft

Mein Vater hat mich völlig ausgehebelt. Seitdem wir beide wussten, dass er schwer erkrankt ist, gab es für mich kein Halten mehr. Ich schwor ihm auf die Hand, dass er bei uns … also in seinem Haus bleiben würde und wir für ihn da sein werden. Ja, das tat ich tagsüber auch. Und nachts … ja, da bin ich, vollgepumpt mit Ecstasy von Club zu Club getingelt und feierte ich über viele Jahre auf Techno, was das Zeug hielt. Mein Pa starb in meinen Armen. Ich durchlebte diesen Verlust über zwei Jahre immer wieder aufs Neue. Es war die Hölle. In luziden Träumen vermischte sich Wirklichkeit mit Wunsch mit Traum mit aufwachen und nicht wissen, welche Realität nun die eigentliche ist.

Meine Mutter starb 14 Jahres später. Das tat sie und es tat sich gefühlsmäßig bei mir nur wenig. Nur ein Jahr, nach ihrem Tod, folgte mein erster Ehemann. Auch er starb in meinen Armen – es war so grauenvoll. Nein, es war so, wie es kommen musste. Wieder war es der blanke Horror für mich und das, obwohl wir schon getrennt voneinander gelebt hatten. Innerlich waren wir unzertrennlich und dieses Band ist bis heute nicht zerstört … offensichtlich zum Leidwesen meines zweiten Mannes. Mir ist das mehr als egal. Ich kann meine Gefühle eh nicht erklären oder hoffen, dass es jemand anderes ebenso fühlt. Nein, dieses unzertrennliche Band existiert nur in meiner Gefühlswelt, wenn ich ehrlich bin. Was mein verstorbener Mann wirklich gefühlt hat, ist nicht wirklich klar – ich glaube, er hat mich verflucht, dafür das ist ihn verlassen habe – das ist wohl eher die Realität.

Regelmäßig macht sich mein zweiter Ehemann lustig darüber – ja er wirft es mir vor, wie ich mit dem Tod meines Ehemannes umgegangen bin. Er wäre nur zweite Wahl gewesen und das hätte ich ihm immer spüren lassen. Und die vielen Jahre, in denen ich Sachen von meinem verstorbenen Mann gehütet und aufgehoben hätte, wären ja so lächerlich gewesen. 

Klares Statement von mir: Leck mich am Arsch, du Vollpfosten! Für Außenstehende ist mein Verhalten und der Umgang mit dem Tod nicht wirklich erklärbar. Ich kann zwar dabei bleiben, ihn als Vollpfosten zu titulieren, aber ich müsste nochmals genauer schauen, ob ich dieser Gefühlsregung überhaupt diesen Stellenwert zugestehen sollte.

Hast du überhaupt eine Ahnung, wie es ist, geliebte Menschen für immer zu verlieren? Du, der jeden in Arsch tritt, wenn es unangenehm wird? Du, der noch Eltern hat und der noch niemanden wirklich verlustig gemeldet hat? Du, der nie eine so innige Beziehung geführt hat, wie ich? Du, der noch nicht einmal weiß, warum er heute überhaupt liebt? Wut off… würde ich jetzt formulieren. Kann man so stehen lassen, muss man aber nicht, denn bringt das irgendjemanden etwas? Ja, er kann froh sein, das alles nicht so erlebt zu haben, wie ich. Würde er es denn auch so fühlen wie ich? Vielleicht fühlt er einfach nur distanzierter oder einfach nur anders? Und warum hat mich das überhaupt zu interessieren? Und da wir gerade beim Thema Liebe sind… warum liebe ich eigentlich… nein anders gefragt, liebe ich eigentlich wirklich? Das alles ist irgendwie nicht mehr so euphorisch, wie früher. Es fühlt sich alles so gesetzt an… ja geradezu bodenständig oder bin ich einfach nur älter und reifer geworden? Naja scheiße bin ich auf jedem Fall geblieben… scheinbar ist man das in jedem Alter. Auch eine Erkenntnis, die man nicht täglich hat.

Sorry, aber ich glaube, das wirklich echte Leben ist an dir vorbei gehuscht oder du hast es nie erfahren. Du wirst wohl nie mitreden können, du wirst immer in deiner begrenzten Welt von Profit, Oberflächlichkeit und Egoismus leben. Du wirst nie erfahren, wie es ist, ein Band fürs Leben zu haben, das für immer bestehen bleibt … egal wer und wie es zerredet wird … Mag sein, dass es so ist, aber der Gedanke ist ausschließlich in meinem Kopf entstanden. Ist es wirklich so? Und wieso tobt ausgerechnet diese Art von Anschauung in meinem Kopf herum? Ist er wirklich begrenzt in seiner Welt, wenn er sich ausgerechnet für mich entscheidet? Also ich würde mich nicht auf Dauer ertragen … naja, es geht zumindest nicht immer mit mir.

Übrig bleiben meine nicht versiegenden Tränen und die fortwährende Trauer. Mal zermürbt sie, mal lässt es sich damit ein wenig leben. Allerdings ist der Verlust und die Erkenntnis dessen niemals vorbei, sie begegnet mir ständig und alternativlos. Mag sein, dass es irgendwann besser wird. Mag sein, wenn genügend Zeit vergeht, werden die Abstände des Vermissens größer. Aber das Vermissen und der tiefe Graben im Leben bleiben und das zermürbt erbarmungslos und macht unendlich traurig. Ja macht es und das wird immer bleiben. Aber es ist und war auch eine sehr, sehr wichtige Erfahrung für mich – der Tod hat mich deutlich reifen lassen. Und es ist auch ein Neuanfang, den ich vergessen hatte, wertzuschätzen – unabhängig davon, dass er mir nicht wirklich in der Form gepasst hat – hat ja mit Veränderung zu tun und wer will das schon. Doch … eine neue Chance zu bekommen, das ist doch eine besondere Form des privilegierten Daseins, oder nicht? Naja, wir leben eh in einer privilegierten Umgebung… in der Sahel-Zone hätte ich über all das hier wohl ganz anders gedacht, wenn ich nicht schon längst verhungert wäre … ja ich bleibe bissig – auch mir gegenüber.

Danke für’s erneute Lesen. Es ist wichtig, sich gegenüber ehrlich zu bleiben, auch wenn man Monate dafür benötigt.

4 Antworten auf „Update: Die Stimmen aus dem Jenseits

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